Heuer habe ich weder Geld noch Lust auf Ausland. Das südländische Steinhaus mit süß duftendem Feigenbaum am majestätischen Mittelmeer ist natürlich auch mein Urlaubstraum, mein Lebenstraum, um es treffender zu sagen. Aber das hat sich bei uns spätestens nach den Maßnahmen der Etappen 1 und 2 erledigt. Mein Kind baut heuer also keine ritterlichen Sandburgen, es sammelt keine schillernden Muscheln und schon gar nicht plätschert es mit bunter Luftmatratze in salzigen blauen Weiten. Hach!
Wir wandern keine zehn Minuten durch das Dorf. Links kommt bereits der erste große Parkplatz für die Klammbesucher. Dorthin möchten wir nicht. Nach rechts finden wir einen schmalen Weg. Hier riechen wir endlich die feuchte Erde. Der Bub möchte urinieren. Bald danach klettert er an Wurzeln geklammert einen mit Vergissmeinnicht bewachsenen Hang hoch und erklärt mir die länglichen, gelben Blüten der Haselnuss. Aus einem mir unerfindlichen Grund packt er seine Gärtnerhandschuhe aus und beginnt zu graben. Ich mache es mir auf einem Büschel getrocknetem Gras gemütlich und betrachte Pappelblätter, die in der Sonne flattern und blinzeln. Wie ein Schutzschirm hängen die grünen Blätter von den Bäumen über unserem Weg. Der Wald zirpt und raschelt. Die Natur ringsum lässt unsere Wangen erröten. Wie leicht fühlt sich das Leben hier an! Alles, was uns umgibt, ist nicht schneller oder lauter als das Gurgeln der Quelle neben uns. Hier geht es um die einfachen Fragen: Was wächst und ist essbar? Wie transportieren wir das Quellwasser? Und wo verrichten wir unsere Notdurft, ohne zu stören? Lebendigkeit durchströmt meinen kopfgeplagten Körper.
Im Wald zirpt und raschelt es |
Ich dränge zum Weitergehen und bald wird unser Atem lauter und schwerer. Die Poren öffnen sich für meinen Schweiß. Blut und Luft durchströmen meine Lungen. Und genau dann als ich wieder an den Sandstrand in Kroatien denke, ruft mein Sohn, „Erdbeeren!“. Rot und süß blitzen sie am Wegesrand und das Kind macht sich an seine dritte Jause. Am Wegesrand wächst auch der lange, gezackte Königsfarn. Man sagt ja, dass der Farn als Urpflanze Geister fernhält. Ich erkläre ihm, dass Geister nichts anderes als unsere eigenen Ängste und Sorgen sind und schlage vor, den Farn zu sammeln und ihn zuhause unters Bett zu legen. Zum Schutz. Er will sie zwar nicht unter sein „Sendung-mit-der-Maus“-Bett legen, nichtsdestotrotz packt er einige kleinere Königsfarne ein, um sie später in seinem dicken Autolexikon zu pressen. Vielleicht sind wir nächstes Mal auch mutig und kommen mit Zelt.
Entspannt legen wir uns ins Gras. Wir jausnen. Hatte ich schon erwähnt, dass Wald das neue Meer ist? Seine Blätter rauschen und Gräser wiegen sich wie Meereswellen. Und betrachte ich ihn, überkommt mich ein Gefühl, als hätte ich eine halbe Flasche Wein in mich gekippt. Die Muskeln um Augen und Mund lockern sich, ich lächle, ganz so als wäre ich ein kleines bisschen belämmert. Und das Kind? Ach, das isst und spielt ohnehin überall.